28.10.2017 | madrid, spanien

es scheint so, als seien alle drei millionen madrilenen gleichzeitig auf der straße. zur jeder tages- und nachtzeit, auf jeder plaza, in jeder noch so kleinen calle der stadt. menschen sitzen von mittags bis nachts in tapasbars und straßencafes, auf dem mercado bilden sich lange schlangen vor jedem stand. in den typischen einkaufsstraßen herrscht geschäftiges treiben, neue klamotten für das date heute nacht müssen her. straßenkünstler leisten ihren beitrag im gewusel, an jeder ampel wird gehupt, gezankt, gegrüßt. permantes gebrabbel schallt durch die ganze stadt, wie ein tinitus, der nicht vergeht.

das alles passiert allerdings mit einer so unglaublichen südländischen entspannt- und gelassenheit, das man sich hier sofort wohlfühlt. über allem lacht die sonne am himmel, es ist sommer im november. das leben spielt sich immer noch draußen ab, einzigartig für eine europäische hauptstadt zu dieser jahreszeit. und das wissen die madrilenen. und sie wissen jeden augenblick zu genießen. meist bleibt es nicht bei einem tapas, einem wein, einen cortado. er scheint so, als zieht die ganze stadt vom frühstück bis zum letzten drink auf irgendeiner tanzfläche von cafe zu restaurant zu bar zu club, bis sie am nächsten morgen wieder von vorne beginnt. alles im uhrzeigersinn. obwohl, das wäre zu viel ordnung.

der tag von reisenden beginnt allerdings mit einer pflichtaufgabe. parkplatzsuche mit einem zwei meter vierzig hohen vw bus in einer millionenstadt, bestenfalls irgendwo überwacht. für diese nacht ist ein bett in einem hostel in der innenstadt reserviert. erster versuch. garage bis auf den letzten platz voll. zweitens. ausgeschilderter parkplatz existiert nicht. dritter anlauf. einfahrt zum parkhaus ist nur ein meter neunzig hoch. langsam schrumpft die lust, einen tipp gibt es aber noch. ein überdachter parkplatz im hinterhof einer altstadtgasse. nicht so richtig einfach, die streunenden hunde, katzen, menschen und roller zu umfahren. und den schwerhörigen ausschließlich spanisch sprechenden opa davon zu überzeugen, dass ein letzter freier parkplatz die nächsten achtundvierzig stunden von einem roten bis aus köln besetzt werden soll. vale vale, gracias, hasta luego. wenige worte, dafür laut. schließlich händigt er das parkticket über fünfundzwanzig euro aus. und lacht über seinen eigene witze. nix kapiert, egal. schnapper.

zur belohnung wird das erste cafe in der altstadt angesteuert, das vor die füße fällt. natürlich sind alle stühle belegt, draußen wie drinnen. ein kleiner schattenplatz in der ecke bleibt noch, perfekt. dos canas por favor, dazu ein kleiner snack. es herrscht trubel auf der straße, jeder geht seiner wochenendbeschäftigung nach. jemand liest ein buch auf einer bank in der sonne, eine bande studenten spielt karten und trinkt dosenbier, männer kauen sonneblumenkerne, zwei geschwister verstecken sich zwischen den tischen. eins haben hier allerdings alle gemeinsam: das publikum in der altstadt ist eher alternativ, dem poshigen image wird madrid hier nicht gerecht. ein stadtteil zum wohlfühlen.

das bild ändert sich mit jedem meter richtung norden. jeans und sneaker weichen kleidchen und pumps, shirts und trainingsjacken werden zu hemden und jackets. nun speist man hier fisch, dort entrecote. trinkt rotwein statt bier, hier und da knallt der korken einer flasche cava. genauso trubelig, nur eben eine etwas andere welt. der grundton gebrabbel bleibt bestehen, vielleicht fallen ab und zu ein paar mehr namen bekannter marken. aber die leidenschaft in den gesprächen ist die gleiche. zeit, schnell im hostel einzuchecken, eine dusche zu nehmen und vielleicht fünf minuten die augen zu schließen. wenn das bett nicht nachgeben würde. posten durchgebrochen. chef regelt das aber. vale vale. ein schlafplatz auf der straße seht also weiterhin nicht zur diskussion. dann eben für den moment nur duschen. ist ja auch ziemlicher luxus.

ab in die metro. zwei mal umsteigen, schließlich in die linie sieben richtung osten. ziel: das estadio wanda metropolitano, die heimat von atletico madrid. wer braucht schon die königlichen von real, wenn er auch die rojiblancos sehen kann. diese meinung findet bei den fünfundsechzigtausend im stadion natürlich schnell anklang. die aufgeregten sitznachbarn im atletico-block erklären schnell, dass die „pijos“, also die schnösel, zu real gehen. wenn man allerdings was von fußball versteht und spanische atmosphäre erleben möchte, ist man bei atletico genau richtig. wer braucht cr sieben, wenn auch torres, griezmann und die anderen in rotweiß in dieser stadt spielen. ja gut, für einen fc-fan sowieso ein traum.

das spiel gegen villareal geht schließlich eins zu eins aus und ist nicht der beste kick der geschichte. dafür sind das stadion und die atmosphäre tatsächlich atemberaubend. die tribünen sind steil nach oben gebaut, die dächer sind rot illuminiert. immer wieder erfasst ein raunen oder ein fangesang das gesamte publikum, es ist ohrenbetäubend laut. in den weniger spannenden momenten des spiels werden kerne gekaut oder die mitgebrachten bocadillos gegessen. dazu hitzige diskussionen über spielveraluf, die wenigen gegnerischen fans oder politik. der meist gesprochene ausdruck in neunzig minuten lautet puta. einmal springen dann alle gleichzeitig auf und brüllen ein wort. gooooooooooool. alle fünfundsechzig tausend. kennt man nur aus dem fernsehen, radio oder bestenfalls fifa auf der playstation. jetzt ist es wirklichkeit. großartig. und infizierend. atletico hat neue fans aus köln. man klatscht sich ab, mit den rotweißen im fanblock.

zurück in der stadt erstmal pizza und dosenbier auf dem plaza de san ildefonso. man sitzt mit verschiedenen gruppen spaniern auf dem boden und quatscht. es ist warm, die stadt ist immer noch trubelig, die bars platzen aus allen nähten. erinnert an den brüsseler platz, allerdings bei fünfundzwanzig grad im november. mit besserer pizza. anschließend ist es zeit für einen nächtlichen spaziergang durch die viertel malasana und chueca. hier spielt sich in diesen stunden des tages das leben ab, eine bar folgt der anderen. in malasana alternativ, in chueca alternativ und eher homosexuell. es wird getrunken, gelacht, gefeiert. es macht schon spaß, die menschen nur anzuschauen. allen geht es gut. die, denen es weniger gut geht, treffen sich auch nachts in der der kirche saint antoine, die vierundzwanzig stunden am tag geöffnet hat. allen besuchern einen zufluchtsort bietet. kostenlose toilette und wlan inbegriffen, ab und an sogar eine mahlzeit. so sollte es sein, religion im einundzwanzigsten jahrhundert. amen.

auf dem heimweg hier und da noch ein drink in einer bar an einer bar. mittlerweile ist es kurz nach ein uhr in der nacht, noch ist keiner nach hause gegangen. mojitos wechseln den besitzer, bier und wein auch. knutschende pärchen zwischen autos und in hauseingängen, in tapasbars wird die dritte runde bestellt. die haupteinkaufsstraße ist bevölkert von menschen. natürlich haben die geschäfte schon zu, dennoch scheint man sich auch hier zu treffen. auf den plätzen blubbern die angestrahlten springbrunnen, leute stehen und staunen, sitzen und singen, liegen und trinken. madrid. nicht so richtig schön, aber so richtig lebhaft, herzlich, entspannt. attribute wie köln. nur in groß. mit dreihundertsechzig tagen sonne im jahr. so lange der rote bus rollt.

mehr hier: https://www.instagram.com/redbusrollin/